Im Oktober 2024 veröffentlichte die Europäische Kommission ein neues Q&A-Leitliniendokument zu Artikel 10a der Medizinprodukteverordnung (MDR) und der In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR) gemäß der Verordnung (EU) 2024/1860. Diese Verordnung verpflichtet Hersteller, die zuständigen Behörden und relevante Akteure frühzeitig über bevorstehende Lieferunterbrechungen oder die Einstellung der Versorgung bestimmter Medizin- und In-vitro-Diagnostika zu informieren.
Verpflichtungen gemäß Artikel 10a MDR und IVDR
Die in der Verordnung (EU) 2024/1860 festgelegten aktualisierten Herstellerpflichten führen eine neue Benachrichtigungspflicht im Falle absehbarer Lieferunterbrechungen oder Produktionsstopps ein. Ziel dieser Verpflichtungen ist es, die Patientensicherheit zu gewährleisten, die Versorgung mit essenziellen Produkten aufrechtzuerhalten und die Transparenz in der medizinischen Lieferkette zu erhöhen.
Ziele der MDR/IVDR-Änderung
Das Hauptziel der MDR/IVDR-Änderung besteht darin, den kontinuierlichen Zugang zu wichtigen Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika sicherzustellen, ohne die Qualitätsstandards zu beeinträchtigen. Die Änderung stärkt die Patientensicherheit durch drei Kernmaßnahmen: die fortlaufende Versorgung mit kritischen Produkten, verpflichtende Herstellerbenachrichtigungen bei drohenden Lieferengpässen sowie die schrittweise Einführung der EUDAMED-Datenbank zur Verbesserung der Transparenz.
Informationspflichten bei Lieferunterbrechungen oder Einstellung der Versorgung
Die aktualisierte Verordnung verpflichtet Hersteller und Wirtschaftsakteure, relevante Interessenträger bei bevorstehenden Lieferproblemen umgehend zu informieren, um eine rechtzeitige Vorbereitung von Gesundheitseinrichtungen und Patienten zu gewährleisten.
Artikel 10a gilt ab dem 10. Januar 2025 und verlangt, dass alle potenziellen Lieferunterbrechungen oder Einstellungsszenarien mit möglichen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit gemeldet werden. Hersteller sollten Stakeholder bereits vor diesem Datum informieren, sofern absehbare Risiken bestehen.
Die Meldepflicht gilt für alle Produkttypen mit Ausnahme von Sonderanfertigungen und umfasst Produkte, deren Nichtverfügbarkeit zu erheblichen Risiken für Patienten oder die öffentliche Gesundheit führen könnte. Diese Anforderungen gelten unter bestimmten Bedingungen auch für Bestandsprodukte („Legacy Devices“).
Pflichten der Hersteller
Hersteller müssen Wirtschaftsakteure, Gesundheitseinrichtungen, medizinisches Fachpersonal sowie die zuständige Behörde im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder ihrer autorisierten Vertretung informieren. Dadurch wird eine schnelle Reaktion entlang der gesamten Versorgungskette ermöglicht.
Idealerweise erfolgt die Benachrichtigung mindestens sechs Monate vor einer geplanten Unterbrechung oder Einstellung. In Ausnahmefällen – etwa bei Naturereignissen oder plötzlichen Lieferkettenstörungen – ist eine sofortige Meldung zulässig.
Hersteller müssen über geeignete Überwachungssysteme verfügen, um unvorhersehbare Ereignisse frühzeitig zu erkennen und unverzüglich zu melden. Die Antizipation einer Unterbrechung bedeutet, dass der Hersteller bestätigt, dass eine Störung unmittelbar bevorsteht. Dies umfasst die Bewertung der eigenen Versorgungskapazitäten, mögliche Minderungsstrategien und Kommunikationspläne mit Stakeholdern.
Pflichten der Wirtschaftsakteure
Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, erhaltene Informationen unverzüglich an die nächste Ebene der Lieferkette weiterzuleiten. Diese Informationskette stellt sicher, dass relevante Institutionen und Fachkräfte rechtzeitig gewarnt werden, um potenzielle Auswirkungen zu mindern.
Gründe für Lieferunterbrechungen
Hersteller müssen in ihren Mitteilungen den Grund für jede absehbare Lieferunterbrechung angeben. Zu den Ursachen können regulatorische oder produktionstechnische Probleme, Engpässe in der Lieferkette, geschäftliche Entscheidungen oder externe Ereignisse gehören, die die Kontinuität der Versorgung beeinträchtigen.
Bewertung des Risikos für die öffentliche Gesundheit
Eine Lieferunterbrechung kann als ernsthaftes Risiko gelten, wenn sie den Zugang zu lebenswichtigen Diagnostika oder Behandlungen erheblich beeinträchtigt. Besonders kritisch sind Fälle, in denen keine Alternativen verfügbar sind. Hersteller müssen bewerten, ob eine Unterbrechung schwerwiegende Auswirkungen auf die Zielpatientengruppe haben könnte, und dabei relevante Daten sowie Rückmeldungen aus der klinischen Praxis berücksichtigen.
Bei der Risikoabschätzung sollten Faktoren wie die Bedeutung des Produkts für die Versorgung, die Verfügbarkeit von Alternativen, Marktbestände, interne Minderungsmaßnahmen und Sicherheitsvorräte einbezogen werden.
Bereitstellung von Informationen an zuständige Behörden
Zur Benachrichtigung der zuständigen Behörden müssen Hersteller das „Manufacturer Information Form“ verwenden. Die Einreichungsprotokolle sind auf den Websites der jeweiligen Behörden abrufbar. Dieses standardisierte Verfahren gewährleistet eine konsistente und vollständige Informationsübermittlung, die bei Bedarf auch mit anderen EU-Institutionen geteilt werden kann, um die Versorgungssicherheit zu unterstützen.
Rolle der Wirtschaftsakteure in der Lieferkette
Wirtschaftsakteure, die eine Benachrichtigung vom Hersteller erhalten, müssen die Informationen unverzüglich entlang der Lieferkette weitergeben. Diese schnelle und transparente Kommunikation ermöglicht es Gesundheitseinrichtungen und Fachpersonal, sich auf mögliche Engpässe vorzubereiten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
Zusammenfassung
Die Verordnung (EU) 2024/1860 stärkt die Patientensicherheit und Transparenz in der medizinischen Lieferkette, indem sie Hersteller verpflichtet, frühzeitig über drohende Lieferunterbrechungen oder Einstellung der Versorgung zu informieren. Durch koordinierte Informationsweitergabe entlang der gesamten Lieferkette wird sichergestellt, dass lebenswichtige Medizinprodukte in der gesamten EU verfügbar bleiben.
Diese Leitlinie bietet Herstellern und Wirtschaftsakteuren eine Grundlage, um sich an die strengen EU-Vorgaben anzupassen und die Integrität sowie Sicherheit der medizinischen Versorgung zu gewährleisten.