Im September 2025 wurde die vierte Ausgabe des Manual on Borderline and Classification in the Community regulatory framework for medical devices veröffentlicht.
Das von der MDCG-Arbeitsgruppe für Borderline-Fragen erstellte Dokument ist ein zentrales Referenzwerk für Hersteller und Benannte Stellen.
Obwohl es rechtlich nicht bindend ist, dient es als abgestimmter Leitfaden in komplexen Fällen, in denen entschieden werden muss, ob ein Produkt unter die MDR/IVDR oder andere EU-Rechtsakte fällt – etwa Arzneimittel-, Kosmetik- oder Biozidrecht.
Bedeutung des Borderline-Handbuchs
Die Einstufung eines Produkts als Medizinprodukt hat weitreichende Folgen:
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Sie bestimmt die Konformitätsbewertungsroute,
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beeinflusst den Umfang der technischen Dokumentation,
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entscheidet über die Notwendigkeit einer klinischen Bewertung (Art. 61 und Anhang XIV MDR),
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legt fest, ob eine Benannte Stelle oder eine andere Behörde zuständig ist.
Eine falsche Klassifizierung kann zu Marktverzögerungen, aufsichtsrechtlichen Sanktionen oder sogar zum Rückruf von Produkten führen.
Neue Borderline-Beispiele
Die vierte Ausgabe enthält zahlreiche neue Beispiele und Interpretationen, darunter:
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ein Spray mit neutralisierenden Antikörpern gegen SARS-CoV-2, das zwischen Arzneimittel und präventivem Medizinprodukt liegt,
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ein Graphittiegel für bildgebende Diagnostik, dessen Funktion zwischen Zubehör und eigenständigem Produkt bewertet werden muss,
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mobile Software zur Diagnostikunterstützung, die sich an der Grenze zwischen Lifestyle-App und Medical Device Software (MDSW) bewegt.
Jeder Fall wird mit einer detaillierten Begründung versehen, in der die ausschlaggebenden Definitionselemente nach Art. 2 MDR erläutert werden.
Bezug zur MDR – Anhang VIII
Das Handbuch stützt sich umfassend auf die Klassifizierungsregeln des Anhangs VIII MDR.
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Regel 11 zur Software wurde durch zusätzliche Beispiele ergänzt, die die Bedeutung der Zweckbestimmung unterstreichen.
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Die Leitlinien zu dentale und dermatologische Produkte – insbesondere solche mit Nanomaterialien – wurden erweitert.
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Präzisierungen betreffen auch Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung gemäß Art. 1(2) MDR und Anhang XVI (z. B. kosmetische Kontaktlinsen).
Auswirkungen auf Hersteller und Benannte Stellen
Die Veröffentlichung hat mehrere praktische Folgen:
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Für Hersteller: Sie erleichtert die korrekte Klassifizierung und minimiert Fehler im regulatorischen Ansatz.
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Für Benannte Stellen: Sie schafft gemeinsame Interpretationsrahmen und fördert einheitliche Entscheidungen in der gesamten EU.
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Für Behörden: Sie dient als Grundlage für den Austausch bewährter Verfahren und die Lösung grenzüberschreitender Streitfälle.
Gemäß Art. 51 MDR trägt der Hersteller die letztendliche Verantwortung für die Klassifizierung – doch das Handbuch reduziert das Risiko divergierender Auslegungen erheblich.
Produkte an der Schnittstelle
Ein Schwerpunkt der neuen Ausgabe liegt auf Produkten, die zwischen verschiedenen Rechtsbereichen stehen, etwa:
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Arzneimittel vs. Medizinprodukte – z. B. Spüllösungen mit pharmakologischer oder mechanischer Wirkung,
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Kosmetika vs. Medizinprodukte – z. B. Hautpflegecremes bei atopischer Dermatitis,
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Biozide vs. Medizinprodukte – z. B. Desinfektionsmittel für medizinische Oberflächen.
Das Handbuch betont, dass der Hauptwirkmechanismus entscheidend ist:
Ist die Wirkung pharmakologisch, gilt Arzneimittelrecht; ist sie mechanisch, gilt die MDR.
Empfehlungen für MedTech-Unternehmen
Um das Handbuch effektiv zu nutzen, sollten Hersteller:
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bereits in der Entwurfsphase eine Qualifikationsanalyse durchführen und dokumentieren,
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die Ergebnisse in die technische Dokumentation (Anhang II MDR) aufnehmen,
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bei Unklarheiten eine Benannte Stelle oder zuständige Behörde konsultieren,
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künftige Revisionen regelmäßig prüfen, da neue Ausgaben bestehende Interpretationen ändern können.
Fazit
Die vierte Ausgabe des Borderline & Classification Manual ist ein entscheidender Schritt zur Harmonisierung der MDR-Interpretation in der EU.
Obwohl rechtlich nicht verbindlich, ist ihr praktischer Nutzen enorm – sie dient als Referenz für Hersteller, Benannte Stellen und Behörden.
Mit ihren neuen Beispielen und präzisierten Leitlinien ist sie ein unverzichtbares Werkzeug für alle MedTech-Unternehmen, die den Marktzugang in der EU anstreben.
Eine korrekte Anwendung reduziert regulatorische Risiken, beschleunigt die Konformitätsbewertung und unterstützt das übergeordnete Ziel der MDR:
Sicherheit und Schutz der Patienten durch klare und einheitliche Produktklassifizierung.