Ein neuer Appell für seltene diagnostische Produkte
In ihrer im Juli 2025 veröffentlichten Stellungnahme ruft Team-NB, der europäische Verband der Benannten Stellen, die Europäische Kommission dazu auf, ein spezielles und verhältnismäßiges regulatorisches Konzept für In-vitro-Diagnostika (IVDs) zu entwickeln, die für sehr kleine Patientengruppen bestimmt sind – sogenannte Orphan IVDs.
Das Papier enthält konkrete gesetzgeberische und operative Vorschläge, um Hindernisse zu beseitigen, die derzeit den Marktzugang für dringend benötigte, aber nischenorientierte diagnostische Lösungen erschweren.
Orphan IVDs – wenige Anwender, hohes Risiko der Nichtverfügbarkeit
Team-NB erinnert daran, dass die IVDR derzeit keine spezifischen Ausnahmen oder Erleichterungen für IVDs vorsieht, die zur Diagnose seltener Krankheiten bestimmt sind – im Gegensatz zu den bereits existierenden Regelungen für Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan Drugs).
Für diagnostische Produkte, deren Zielmarkt nur eine sehr geringe Patientenzahl umfasst, können die Anforderungen der IVDR – insbesondere hinsichtlich klinischer Datenerhebung und Kosten der Konformitätsbewertung – unverhältnismäßig hoch sein.
Ohne gezielte regulatorische Mechanismen, so warnt Team-NB, könnten viele innovative IVDs den europäischen Markt nie erreichen – selbst wenn sie einen hohen klinischen Nutzen für eine spezifische seltene Erkrankung bieten.
Drei zentrale Säulen des vorgeschlagenen Ansatzes von Team-NB
1. Flexible Konformitätsbewertung
Vorgeschlagen wird die Einführung vereinfachter Verfahren auf Grundlage eines begründeten, aber reduzierten klinischen Datensatzes.
Benannte Stellen sollten hierbei die Besonderheiten kleiner Patientenkohorten und die Schwierigkeiten bei der Datenerhebung berücksichtigen.
2. Wissenschaftliche Unterstützung durch Expertengremien
Nach dem Vorbild der EMA sollen Expert Panels eingerichtet werden, die Herstellern kostenlose wissenschaftliche Beratung zu Themen wie Orphan-Status, Anforderungen an klinische Daten und Post-Market-Überwachung bieten.
3. Anreize und Priorisierung
Vorgesehen ist die Möglichkeit, den Status eines „prioritären diagnostischen Produkts“ zu vergeben, wenn der klinische Nutzen besonders hoch ist.
Zusätzliche vorgeschlagene Anreize:
-
verkürzte Bewertungsfristen,
-
reduzierte Gebühren,
-
finanzielle Unterstützung während klinischer Studien.
Definition und Qualifikation – Bedeutung der Präzision
Team-NB betont die Notwendigkeit einer klaren und harmonisierten Definition von Orphan IVDs.
Vorgeschlagene Kriterien:
-
geringe Patientenzahl in der EU,
-
Fehlen alternativer diagnostischer Verfahren,
-
nachgewiesener signifikanter klinischer Nutzen.
Die Klassifizierung sollte durch die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit der MDCG erfolgen – analog zur Orphan-Drug-Klassifizierung der EMA.
Rolle der Benannten Stellen und nächste Schritte
Team-NB hebt hervor, dass die Benannten Stellen bereit sind, die Umsetzung eines solchen Systems zu unterstützen. Gleichzeitig appelliert die Organisation an die Kommission, rasch legislative Schritte einzuleiten, um entsprechende Mechanismen formell einzuführen.
Diese Maßnahmen sollten innerhalb des bestehenden IVDR-Rahmens integriert werden, nicht als separates System.
Dazu wären Anpassungen der Durchführungsverordnungen und MDCG-Leitlinien erforderlich.