Rechtsgrundlagen der Zertifizierung von Medizinprodukten
Die Zertifizierung von Medizinprodukten (MD) und In-vitro-Diagnostika (IVD) ist ein formaler Prozess zur Bestätigung der Konformität mit den rechtlichen Anforderungen der Europäischen Union. Dieser Prozess wurde mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) sowie der Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) grundlegend modernisiert. Die neuen Vorschriften führten verschärfte Verfahren in Bezug auf Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Qualität der Produkte ein und erweiterten die Pflichten der Hersteller hinsichtlich Dokumentation und Überwachung erheblich. Wie Prof. Günter Brückner, Experte für Medizinprodukterecht, betont: „MDR und IVDR sind nicht nur Vorschriften – sie sind eine neue Philosophie der Herstellerverantwortung für jede Phase des Produktlebenszyklus.“
Umfang der Zertifizierung: Medizinprodukte und IVD
Der Zertifizierungsumfang umfasst alle MD und IVD, abhängig von ihrer Risikoklassifizierung sowie ihrer klinischen bzw. diagnostischen Zweckbestimmung. Medizinprodukte werden in die Klassen I, IIa, IIb und III eingeteilt, IVD in die Klassen A, B, C und D. Die Klasse bestimmt die Art des Konformitätsbewertungsverfahrens und die Notwendigkeit der Beteiligung einer Benannten Stelle. Bei IVD hat die Leistungsbewertung zentrale Bedeutung, bei MD steht die klinische Bewertung im Vordergrund. Hervorzuheben sind innovative und kritische Produkte wie molekulare SARS-CoV-2-Tests oder Infusionspumpen.
Zertifizierung innovativer Produkte und Software (SaMD)
Ein innovatives Produkt nutzt neue Technologien, besitzt kein Referenzprodukt auf dem EU-Markt oder überschreitet bisherige Anwendungsbereiche. Dazu zählen auch Produkte mit Softwarefunktion, bekannt als SaMD (Software as a Medical Device). Die Zertifizierung solcher Produkte erfordert neben der klinischen Bewertung auch die Validierung von Algorithmen, Cybersicherheit sowie die Erfüllung von Interoperabilitätsanforderungen. Die Dokumentation muss eine präzise Funktionsbeschreibung, eine Software-Risikobeurteilung und die Konformität mit Normen wie IEC 62304 enthalten. Zusätzlich sind Verfahren zur Versionskontrolle und Systemaktualisierung erforderlich.
Regulatorische Strategie als Bestandteil der Zertifizierungsplanung
Die regulatorische Strategie ist ein Projektdokument, das den Weg zur Marktzulassung gemäß MDR bzw. IVDR festlegt. Sie umfasst u. a. die geplante Klassifizierung, den Zertifizierungspfad, die Auswahl der Benannten Stelle, den Zeitplan sowie die Strategie für Risikomanagement und klinische Daten. Eine frühe Festlegung erhöht die Erfolgschancen einer zügigen Zertifizierung und vermeidet kostspielige Änderungen in späteren Phasen. Das Dokument dient zudem der Kommunikation mit Stakeholdern – einschließlich Forschungspartnern und Investoren.
Schlüsselelemente des Zertifizierungsprozesses
Der Zertifizierungsprozess besteht aus aufeinanderfolgenden Phasen der Bewertung, Auslegung und Sicherstellung der Normenkonformität. Der Hersteller muss ein Qualitätsmanagementsystem implementieren, die technische Dokumentation erstellen und die Sicherheit sowie die Leistungsfähigkeit des Produkts nachweisen. Die Effizienz wird an der Zeit bis zur Zertifikatserteilung und am Ausbleiben von Abweichungen bei Audits durch Benannte Stellen gemessen.
- Erstellung der technischen Dokumentation gemäß MDR/IVDR,
 - Risikobeurteilung und -management gemäß ISO 14971,
 - Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems (z. B. ISO 13485),
 - Präklinische Prüfungen zu Sicherheit und Biokompatibilität,
 - Überprüfung der Konformität mit harmonisierten Normen.
 
Rolle der Benannten Stelle
Die Benannte Stelle ist eine unabhängige Institution, die zur Konformitätsbewertung von Produkten höherer Risikoklassen befugt ist. Ihre Aufgaben umfassen die Prüfung der technischen Dokumentation, das Audit des Qualitätsmanagementsystems, die Bewertung klinischer Daten sowie die Ausstellung der entsprechenden Zertifikate. Für IVD der Klassen B, C und D sowie MD der Klassen IIa, IIb und III ist ihre Beteiligung obligatorisch.
Die Auswahl der Benannten Stelle sollte auf einer Analyse des Akkreditierungsumfangs (NANDO), der Erfahrung in der jeweiligen Produktgruppe und der Verfügbarkeit von Auditterminen beruhen. Auch Kommunikationsstil und technischer Support sind wichtig. Eine unpassende Wahl kann zu monatelangen Verzögerungen führen.
Klinische Bewertung und Leistungsbewertung im Zertifizierungsprozess
Klinische Bewertung und Leistungsbewertung sind die beiden grundlegenden Formen der Evaluation von Sicherheit und Wirksamkeit. Sie sind notwendig, um nachzuweisen, dass ein Produkt wie vorgesehen funktioniert. Diese Daten fließen in die Aktualisierung der technischen Dokumentation ein und bilden die Grundlage für die Entscheidung der Benannten Stelle.
- Klinische Bewertung – basierend auf klinischen Prüfungen, wissenschaftlicher Literatur und PMCF-Beobachtungen,
 - Leistungsbewertung von IVD – Validierung analytischer Parameter: Sensitivität, Spezifität, Reproduzierbarkeit und prädiktive Werte.
 
CE-Kennzeichnung
Die CE-Kennzeichnung ist der formale Nachweis, dass ein Produkt die Anforderungen der EU-Verordnungen MDR und IVDR erfüllt. Nach positiver Konformitätsbewertung erstellt der Hersteller die EU-Konformitätserklärung und bringt das CE-Zeichen am Produkt an. Bei Produkten der Klasse I kann die Kennzeichnung auf Basis der Eigenverantwortung des Herstellers ohne Beteiligung einer Benannten Stelle erfolgen, was die Markteinführung deutlich vereinfacht.
Bedeutung der Marktüberwachung
Das PMS-System (Post-Market Surveillance) ist ein zentrales Instrument zur Überprüfung von Sicherheit und Leistungsfähigkeit nach der Zertifizierung. Es dient der Risikoerkennung, der Bewertung der Wirksamkeit von Korrekturmaßnahmen sowie der Aktualisierung der klinischen Bewertung. Ein gut konzipiertes PMS stärkt das Vertrauen der Benannten Stelle und reduziert das Risiko einer Aussetzung des Zertifikats.
Produktänderungen und Re-Zertifizierung
Wesentliche Änderungen an Design, Zweckbestimmung oder Herstellprozess können eine erneute Zertifizierung erforderlich machen. Solche Änderungen sind der Benannten Stelle zu melden, die deren Auswirkungen auf Sicherheit und Konformität mit MDR/IVDR bewertet. In der Praxis bedeutet dies häufig eine Aktualisierung der technischen Dokumentation und nicht selten eine erneute klinische bzw. analytische Bewertung.
Wie Pure Clinical bei der Zertifizierung von MD und IVD unterstützt
Pure Clinical bietet umfassende Unterstützung in den Bereichen regulatorische Strategie, Dokumentation und Kommunikation mit Benannten Stellen. Unsere Leistungen umfassen:
- Erstellung und Prüfung der technischen Dokumentation,
 - Planung und Durchführung der klinischen Bewertung sowie der IVD-Leistungsbewertung,
 - Implementierung von Risikomanagementsystemen gemäß ISO 14971,
 - Vorbereitung auf Audits nach Anforderungen der Benannten Stellen.
 
Wir arbeiten mit Herstellern von Hochrisikoprodukten, softwaregestützten Medizinprodukten (SaMD), implantierbaren Produkten sowie molekularen Tests. Wir gewährleisten Konformität mit MDR, IVDR, ISO 14155 und bewährten Branchenpraktiken.