Was sind harmonisierte Normen?
Harmonisierte Normen sind technische Standards, die von den europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet werden. Sie ermöglichen Herstellern von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika (IVD) den Nachweis der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen gemäß MDR und IVDR. Die Anwendung dieser Normen begründet eine Vermutungswirkung der Übereinstimmung mit dem EU-Recht und stellt den effizientesten Weg zur Vorbereitung auf die Zertifizierung dar.
Ist die Anwendung harmonisierter Normen verpflichtend?
Formal nein. Ein Hersteller kann die Konformität auch ohne harmonisierte Normen nachweisen, muss dann jedoch gleichwertige Lösungen selbst definieren und deren Gleichwertigkeit detailliert belegen. Jede Abweichung ist in der Technischen Dokumentation präzise zu begründen und kann das Risiko einer Ablehnung durch die Benannte Stelle erhöhen.
Rolle harmonisierter Normen im Prozess des Inverkehrbringens
Normen erleichtern die Umsetzung MDR/IVDR-konformer Prozesse, verringern prozedurale Fehler und beschleunigen die Erlangung der CE-Kennzeichnung. Sie unterstützen die Akzeptanz der Unterlagen durch Benannte Stellen und verkürzen die Dauer des Zertifizierungsverfahrens. Die Anwendung aktueller Normen stellt die Übereinstimmung mit dem Stand der Technik und den Erwartungen der Aufsichtsbehörden sicher.
Arten harmonisierter Normen
Horizontale (allgemeine) Normen – gelten für alle Produktkategorien, z. B.:
- EN ISO 13485 (Qualitätsmanagementsysteme),
- EN ISO 14971 (Risikomanagement),
- EN ISO 15223-1 (Symbole auf Etiketten),
- EN ISO 20417 (vom Hersteller bereitzustellende Informationen).
Vertikale (produktspezifische) Normen – betreffen bestimmte Produkttypen, Technologien oder Prüfungen, z. B.:
- EN 60601-1 – für aktive/elektrische Medizinprodukte,
- EN 62304 – für Produkte mit Softwarefunktion (SaMD),
- EN ISO 10993 – Biokompatibilitätsbewertung,
- EN ISO 11135 und EN ISO 11607 – Sterilisationsprozesse bzw. Verpackungen.
Bedeutung der Normen in der Konformitätsbewertung
- Vereinfachter Nachweis der Übereinstimmung mit MDR/IVDR,
- Reduktion zusätzlicher Prüfungen und Tests,
- größere Vorhersehbarkeit der Bewertung durch Benannte Stellen,
- effizientere Audits und schnellere Akzeptanz der Technischen Dokumentation.
Normen für besondere Produkte und Herstellprozesse
- Implantate und Langzeitprodukte: EN ISO 10993-1, ISO 14937
- Produkte mit Energieabgabe: EN 60601-1, EN 60601-1-2
- Produkte mit Softwarefunktion: EN 62304, ISO 82304-1
- Steril verpackte Produkte: ISO 11135 (ETO), ISO 11137 (Strahlung), ISO 11607 (Verpackungen)
Normen bei biologischen und physikochemischen Prüfungen
Im Rahmen der vorklinischen Prüfungen spielen Normen wie EN ISO 10993-5, 10993-10 und 10993-23 eine Schlüsselrolle bei der Bewertung von Zytotoxizität, Irritation und Sensibilisierung. Ihre Anwendung ermöglicht die Standardisierung von Ergebnissen und erleichtert deren Interpretation durch Benannte Stellen.
Vom MDD/IVDD- zum MDR/IVDR-Ansatz – was hat sich geändert?
- stärkerer Fokus auf Risikomanagement, PMS und PMPF,
- Pflicht zur Begründung der Normenauswahl in den Unterlagen,
- Überprüfung der Aktualität der Normversionen im Audit,
- Monitoring und Umsetzung von Änderungen bei Normenupdates.
Wo findet man die aktuelle Liste harmonisierter Normen?
Die offizielle Liste wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Zusätzlich lohnt sich der Blick auf die Websites von CEN, CENELEC, ISO, IEC sowie nationalen Normungsinstituten. Im Rahmen des ISO-13485-Systems sollte ein Verfahren zur regelmäßigen Normen-Compliance-Prüfung etabliert sein.
Fehlen geeigneter Normen – was tun?
- Rückgriff auf andere internationale Normen (z. B. ISO, ASTM),
- Erarbeitung interner technischer Spezifikationen – vorausgesetzt, sie sind validiert,
- empfohlen: frühzeitige Abstimmung mit der Benannten Stelle vor dem formalen Konformitätsbewertungsverfahren.
Alle Alternativen müssen fundiert begründet und in der Technischen Dokumentation beschrieben werden.
Wie unterstützt Pure Clinical die Anwendung harmonisierter Normen?
- Audit der bestehenden Dokumentation hinsichtlich MDR/IVDR-Konformität,
- Empfehlung passender horizontaler und vertikaler Normen,
- Unterstützung bei der Begründung von Alternativen, wenn keine Normen verfügbar sind,
- Vorbereitung auf Audits der Benannten Stelle unter Berücksichtigung aktueller Normen.
Durch laufende Auswertung der Veröffentlichungen im EU-Amtsblatt und das Monitoring von CEN/CENELEC-Änderungen stellen unsere Expert:innen die Aktualität der angewandten Lösungen sicher.