Qualifizierung von Medizinprodukten und IVD – fällt Ihr Produkt unter die MDR oder IVDR?

Produktqualifizierung ist der erste Schritt des regulatorischen Prozesses mit dem Ziel festzustellen, ob ein Produkt die Definition eines Medizinprodukts oder eines In-vitro-Diagnostikums (IVD) gemäß Art. 2 der MDR-Verordnung bzw. der IVDR-Verordnung erfüllt. Das Produkt muss eine beabsichtigte medizinische, diagnostische oder therapeutische Zweckbestimmung besitzen, und seine Hauptwirkung darf nicht durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Mittel erzielt werden.

Die Qualifizierung umfasst die Analyse der technischen Dokumentation, der Produktfunktionen, der erklärten Zweckbestimmung und der Wirkungsweise. Bei Abgrenzungszweifeln (sog. Borderline-Produkte) sollten Hersteller die MDCG-Leitlinien (z. B. MDCG 2021-24 für IVD oder MDCG 2021-13 für Software) heranziehen oder eine Stellungnahme der zuständigen Behörde einholen.

Eine korrekte Qualifizierung hat direkten Einfluss auf den weiteren Zertifizierungsverlauf und die Wahl der Benannten Stelle. Eine falsche Einstufung kann zur Ablehnung der Unterlagen, zum Stopp des Registrierungsverfahrens oder zu Verwaltungssanktionen führen.

Wer ist für die Klassifizierung verantwortlich – der Hersteller oder die Benannte Stelle?

Gemäß MDR und IVDR ist der Hersteller für die Klassifizierung seines Produkts verantwortlich. Die Klassifizierung muss auf technischen Daten beruhen und in der Dokumentation begründet sein. Bei Produkten oberhalb der Klasse I prüft die Benannte Stelle die zugewiesene Risikoklasse. Hält sie diese für fehlerhaft, kann sie die Zertifizierung verweigern oder eine Änderung des Konformitätsbewertungsverfahrens verlangen.

Klassifizierungskriterien für Medizinprodukte – MDR

Der Klassifizierungsprozess eines Produkts sollte vier Schlüsselparameter gemäß Anhang VIII der MDR berücksichtigen:

  1. Vorgesehene Wirkung und Möglichkeit der Wiederverwendung,
  2. Grad der Invasivität und Ort des Körperkontakts,
  3. Verwendungsdauer,
  4. Anwendung der MDR-Klassifizierungsregeln.

Invasivitätsgrad und Aktivität des Medizinprodukts

  • Nicht invasiv: keine Penetration von Geweben, Kontakt nur mit der Körperoberfläche.
  • Invasiv: dringt durch die Haut oder natürliche Körperöffnungen ein.
  • Aktiv: wirkt unter Nutzung externer Energie.

Klassifizierung nach Verwendungsdauer

  • Vorübergehend: bis zu 60 Minuten.
  • Kurzzeitig: über 60 Minuten bis zu 30 Tagen.
  • Langzeitig: über 30 Tage.

Klassifizierungsregeln – MDR Anhang VIII

Die Klassifizierungsregeln (22 allgemeine und spezielle Regeln) sind entsprechend der Zweckbestimmung anzuwenden. Bei Konflikten gilt die Regel, die zur höheren Klasse führt:

  • Software wird nach Funktion und Einfluss auf klinische Entscheidungen klassifiziert,
  • Kalibratoren und Kontrollmaterialien – entsprechend dem Zielprodukt,
  • Regeln sind auf die vorgesehene, nicht auf eine potenzielle Nutzung anzuwenden.

MDR-Risikoklassen

  • Klasse I: Selbstzertifizierung (ausgenommen sterile, messende oder wiederverwendbare chirurgische Instrumente).
  • Klasse IIa: z. B. Infusionssets, dentale Implantate.
  • Klasse IIb: z. B. Produkte mit Langzeitkontakt zum Kreislaufsystem.
  • Klasse III: höchste Risikoklasse, z. B. kardiale oder neurochirurgische Implantate.

IVD-Klassifizierung nach IVDR

Die IVDR teilt Produkte in die Klassen A, B, C, D ein. Die Klasse hängt vom potenziellen Risiko für Patienten und die öffentliche Gesundheit ab:

  • Klasse A: allgemeine Produkte, z. B. Probenröhrchen, Glaswaren, Puffer.
  • Klasse B: z. B. Schwangerschafts-, Glukosetests, Selbstkontrollen.
  • Klasse C: z. B. onkologische Tests, Gewebekompatibilität.
  • Klasse D: HIV, HBV, HCV, Blutgruppentests.

MDR vs. IVDR – Unterschiede in der Klassifizierung

Obwohl MDR und IVDR risikobasiert sind, unterscheiden sie sich im Klassifizierungsansatz. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Unterschiede zusammen:

Bereich MDR – Medizinprodukte IVDR – IVD
Risikoklassen I, IIa, IIb, III A, B, C, D
Hauptkriterium Körperkontakt, Invasivität Einfluss des Testergebnisses auf die Gesundheit
Möglichkeit der Selbstzertifizierung nur Klasse I (mit Ausnahmen) nur Klasse A (nicht steril)
MDCG-Leitlinien MDCG 2021-13 (Software) MDCG 2021-24 (Leistungsbewertung)

Übergangsfristen – Verordnung (EU) 2023/607

Produkte mit IVDD-Zertifikat können Übergangsfristen nutzen, sofern die Anforderungen des Post-Market-Surveillance (PMS) erfüllt sind und keine signifikanten Änderungen am Produkt vorgenommen wurden:

  • Klasse D – bis 31.12.2027
  • Klasse C – bis 31.12.2028
  • Klasse B und sterile Klasse A – bis 31.12.2029

Wie unterstützt Pure Clinical bei der Klassifizierung von Medizinprodukten oder IVD?

Pure Clinical bietet umfassende Unterstützung, darunter:

  • Analyse der Zweckbestimmung und der verwendeten Technologie,
  • Zuordnung zur Klasse und zur spezifischen Klassifizierungsregel,
  • Erstellung der Klassifizierungsbegründung und der regulatorischen Strategie,
  • Empfehlung des Konformitätsbewertungsverfahrens und der Benannten Stelle.

Wir helfen, formale Fehler zu vermeiden und die Konformität mit MDR, IVDR sowie den aktuellen MDCG-Leitlinien sicherzustellen.

FAQ

Wie lässt sich feststellen, ob ein Produkt unter die MDR oder die IVDR fällt?

Durch Analyse der beabsichtigten Zweckbestimmung und des Wirkmechanismus im Lichte der Definitionen nach Art. 2 MDR bzw. IVDR. Hersteller sollten zudem MDCG-Leitlinien wie MDCG 2021-24 oder MDCG 2021-13 heranziehen, um zu beurteilen, ob das Produkt als Medizinprodukt oder als IVD zu qualifizieren ist.

Was ist zu tun, wenn mein Produkt ein Grenzfall ist?

Bei Grenzfallprodukten (Borderline-Produkten), deren Qualifizierung nicht eindeutig ist, sollten nationale regulatorische Auslegungen, die einschlägigen MDCG-Leitlinien und – falls erforderlich – Stellungnahmen der zuständigen nationalen Behörde herangezogen werden.

Kann sich die Risikoklasse während der Konformitätsbewertung ändern?

Ja. Die Risikoklasse kann sich im Verlauf der Bewertung ändern, z. B. infolge einer angepassten Zweckbestimmung oder aufgrund von Hinweisen der Benannten Stelle. Dies erfordert eine Aktualisierung der Technischen Dokumentation und kann den Zertifizierungszeitplan beeinflussen.

Muss die Qualifizierung des Produkts dokumentiert werden?

Unbedingt. Der Hersteller ist verpflichtet, eine dokumentierte Begründung vorzuhalten, dass das Produkt die Definitionen der MDR bzw. IVDR erfüllt. Diese Unterlagen sind für Audits und Reviews der Benannten Stelle erforderlich.

Wer trägt die Verantwortung für die endgültige Klassifizierung?

Der Hersteller ist für die korrekte Klassifizierung verantwortlich. Die Benannte Stelle kann die zugewiesene Klasse beanstanden und eine Änderung verlangen, wenn Unstimmigkeiten festgestellt werden.

Beeinflusst die Klassifizierung des Produkts die Wahl der Benannten Stelle?

Ja. Produkte höherer Risikoklassen erfordern strengere Konformitätsbewertungsverfahren sowie eine Benannte Stelle mit passendem Notifizierungsspektrum und entsprechenden technischen Kompetenzen.